Nachrichtenticker: Merkwürdige Google Memos, das Drama in Las Vegas, atomarer Stand-Off zwischen US-Amerika und Nord-Korea, die AfD mit 12,6% im Bundestag und passend dazu gibt es seit März jetzt eine neue Wolkenformation, Undulatus Asperitas, die aussieht, als würde der Weltuntergang nicht bald beginnen, sondern wäre schon voll im Gange. Ein feministischer Zwischenruf.
Inzwischen ist es offiziell, die AfD wird nicht den Vorsitz über den Kulturausschuss übernehmen. Doch ich wage kaum, die Flasche Rotkäppchen aufzumachen (andere alkoholische und nicht-alkoholische Getränke sind ebenfalls erhältlich), weil sie ja irgendetwas mit ihrer Zeit und ihren Sitzen anstellen werden außer sich zu zerstreiten. Ich höre mich immer wieder sagen: Die haben doch gar keine 94 Abgeordneten, die ihren Namen fehlerfrei schreiben können, wie wollen sie denn ihre Sitze voll kriegen? Als wäre das Problem damit gelöst: Ha, ha, die AfD ist doof, da müssen wir uns nicht länger mit auseinandersetzen. Alternativ ist die Sprechart: Ha, die AfD sind alle Nazis, die sind es nicht wert, dass man mit ihnen spricht. Doch ist das genauso wenig demokratisch wie .... die AfD. Was uns helfen kann, ist nur ein Mehr an Demokratie.
Ein Beispiel, um zu verdeutlichen, was ich meine: Im Juli schrieb der Google Mitarbeiter James Damore ein Memo über die Diversitätspolitik des Unternehmens. Kurz zusammengefasst, dass Männer und Frauen unterschiedliche Vorlieben aber auch Fähigkeiten hätten und deshalb unterschiedlich gut für bestimmte Jobs geeignet seien. Wie nicht anders zu erwarten, wurde das Memo, das nur zum betriebsinternen Gebrauch gedacht war, an die Presse geleaked. Kurz darauf wurde Damore rausgeschmissen wegen „Verbreitung gefährliche Gender Stereotype“. Die Kommentarspalten der Artikel darüber explodierten: Das sei der Genderwahnsinn, gegen den die AfD zurecht vorgehen wolle.
Keine Häme für den Google-Mitarbeiter
Das Tragische an der ganzen Geschichte war, dass James Damore sein Memo ursprünglich geschrieben hatte, um Google zu einem (geschlechter)gerechteren Arbeitsplatz zu machen. Da Frauen(gehirne) eher sozial wären und Männer(gehirne) sich eher auf Details konzentrieren würden und deshalb besser zum Programmieren geeignet seien, schlug er mehr Paarprogrammierung und insgesamt eine Förderung der Work-Life-Balance vor.
Dazu ließe sich eine Menge sagen, angefangen damit, dass Programmieren ursprünglich eine klassische Frauendomäne war. Die erste Person, die ein Computerprogramm schrieb, war Ada Lovelace und zwar 150 Jahre bevor Alan Turing den ersten Computer gebaut hat. Aber auch zu Turings Zeit war Programmieren Frauenarbeit, weil die Männer die Dinger ja zusammenschrauben mussten. Erst als Programmieren an Prestige gewann, wandelten sich die Geschlechterzuschreibungen in diesem Beruf. Außerdem wäre es ein Leichtes, Damores „wissenschaftlichen Erkenntnissen“ Studien gegenüberzustellen, die diese widerlegen. Aber dafür hätte ich ihn nicht rausgeschmissen. Ich hätte ihm vielleicht eine Fortbildung finanziert, zum Beispiel in Bangalore dem Silikon Valley Indiens, wo signifikant mehr Frauen arbeiten als Männer, weil man in Indien denkt, dass Frauen besser programmieren als Männer.
Das ist der Knackpunkt. Die Entlassung von Damores sorgte nicht dafür, dass er oder Menschen, die denken wie er, plötzlich auf die Idee kommen, dass das krude Vorstellungen sind, sondern wirkt ganz im Gegenteil wie eine Bestätigung seiner Argumente. Der volle Name des Memos ist „Google‘s Ideological Echo Chamber“ und es beschreibt, dass Geschlecht (und damit ist natürlich in erster Linie Diskriminierung auf Grund von Geschlecht gemeint) zu einem Dogma geworden sei, das nicht mehr offen diskutiert werden könne mit dem Effekt, dass eine ideologische Echokammer entstehe. Dann kommt Damore und kritisiert dieses Dogma und hey presto: er wird gefeuert. Der Beweis! Weshalb sich die US-amerikanischen Äquivalente zur AfD gerade darum prügeln, Damore zu ihren Conventions einzuladen, damit er über die „Genderideologie“ spreche.
Abwehr durch ein Mehr an Demokratie
Aber Gender ist keine Ideologie und deswegen müssen wir aufhören der Kündigung zu applaudieren, was die meisten von uns natürlich nie getan haben, das war bloß der Eindruck, der entstand, wenn man die Zeitungen gelesen hat.
Außerdem macht es mir als Autorin immer Angst, wenn Menschen für einen Text, den sie geschrieben haben – und nicht etwa für eine Handlung – aus ihrem Job geworfen werden. Ich bin gegen Berufsverbote auch gegen Berufsverbote gegen Anti-Feministen. So Damore damals überhaupt ein Anti-Feminist war, aber jetzt ist er es bestimmt.
Genauso können wir uns nur erfolgreich gegen die AfD wehren, indem wir nicht ihre Strategien der Ausgrenzung und Entmenschlichung übernehmen. Ich stimme nicht mit ihren Wähler*innen überein, nicht was Geschlecht angeht, nicht was Migration angeht und an 100 anderen Punkten auch nicht. Aber ich werde mich nicht dazu herablassen, sie als Rassist*innen oder Sexist*innen abzustempeln und deshalb nie wieder mit ihnen zu reden. (Ich muss zugeben, dass ich keine Ahnung habe, wie ich mit ihnen rede. Ich brauche eine Supervision in gewaltfreier Kommunikation. Das sind Menschen, die eine falsche Lösung für teilweise echte Probleme plus eine Menge Vorherrschaftsansprüche gefunden haben. Trotzdem müssen die Probleme, die es ja tatsächlich gibt, auch wenn sie nicht von denen ausgelöst wurden, auf die sie sie projizieren, gesellschaftlich ernst genommen werden. Nicht mehr als die Probleme von anderen sozialen Gruppen, aber eben auch nicht weniger.
Wir, also die Feminist*innen, die Migrant*innen, die Linken, die Anderen sind nicht schuld an den 12,6% Stimmen für die AfD, aber wir können verhindern, dass das Klima in diesem Land eine Verschärfung der Fronten begünstigt, indem wir Demokratie vorleben, indem wir die bessere Diskussionskultur vorleben, indem wir Menschenfreundlichkeit vorleben – und indem wir AfD-Wähler*innen und Autoren von wirren Memos den Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft offen lassen.
Trotz ihres mehr als bedrohlichen Aussehens löst sich die dräuende Wolkenwand Undulatus Asperitas übrigens meist auf, ohne dass es zu einem Unwetter kommt. Das sieht im Moment nicht wahrscheinlich aus, aber es wäre verdammt wünschenswert.